Polen, Land der Zwangsräumungen

Niedrige Einkommen und hohe Wohnkosten: Leistbarer Wohnraum ist in Polen Mangelware; die herrschende Wohnkrise führt häufig zu Zwangsräumungen. Aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich geben Anlass zur Freude, aber auch zur Besorgnis.

No cash no flat

In Polen manifestiert sich derzeit ein schwerwiegendes Problem: Leistbarer Wohnraum wird zunehmend knapper, was immer öfter Zwangsräumungen nach sich zieht. Diese Krise hat ihren Ursprung im neoliberalen Dogma: Der einzige Weg, um eine Wohnung zu bekommen, besteht darin, sie auf dem freien Markt zu kaufen und eine Hypothek aufzunehmen. Für den Großteil der polnischen Gesellschaft stellt dies jedoch keine Option dar, da 80% über keinerlei Spareinlagen verfügen. Trotz steigender Produktivität der Arbeit ziehen die Löhne nicht nach. Für jede stufenweise Lohnerhöhung mussten die polnischen Angestellten ihre Produktivität um 4% erhöhen.
Der Mangel an leistbarem Wohnraum führte zu einer Immobilienblase, die sich sowohl im Miet- also auch Eigentumssektor deutlich niederschlug. Sogar in einer relativ wohlhabenden Stadt wie Warschau ist die Hälfte der Einwohner_innen stark verschuldet, was häufig Zwangsräumen zur Folge hat. Für die meisten dieser Räumungen ist die öffentliche Hand verantwortlich, obwohl es offiziell Mietpreisbindungen gibt. Programme zur (teilweisen oder vollständigen) Entschuldung zeigten bisher wenig bis keine Wirkung, da die Wurzel des Problems in der Diskrepanz zwischen niedrigen Einkommen und hohen Wohnkosten liegt.

Die Bewegung zum Kampf gegen Zwangsräumungen

In den frühen 1990er-Jahren verabschiedete die post-kommunistische Regierung ein neues Gesetz, das es ermöglichte, auch Mieter_innen zu kündigen, die zu besonders gefährdeten Gruppen zählen, wie Kinder, Behinderte oder Arbeitslose. Zu diesem Zeitpunkt formierte sich erstmals die Bewegung zum Kampf gegen Zwangsräumungen, bei der die Polnische Sozialistische Partei eine Schlüsselrolle einnahm.
Zu dieser Zeit war ich Parlamentsabgeordneter (1993-2001), Parteichef und Präsidentschaftskandidat der Partei. In dieser Position hatte ich die Möglichkeit, dank der häufigen und spektakulär ablaufenden Aktionen zur Blockierung von Zwangsräumungen die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf dieses Thema zu lenken. Damals war jedoch ein Großteil der Bevölkerung im Grunde davon überzeugt, dass die evakuierten Menschen ihr Schicksal verdient hätten.
Nach jahrzehntelanger Praxis der Zwangsräumungen und Mietrechtsänderungen ist dieses Thema nach wie vor aktuell; in der öffentlichen Meinung hat sich jedoch ein Wandel vollzogen. Nachbarn, die einst applaudierten, wenn Polizisten und Beamte es schafften, unsere Blockaden zu durchbrechen, wechselten die Seite und setzen sich nun zu uns auf die Treppen. Das Büro für Soziale Gerechtigkeit (die Organisation Kancelaria Sprawiedliwości Społecznej) und die Bewegung der Sozialen Gerechtigkeit (die Partei Ruch Sprawiedliwości Społecznej) wurden in vielen Städten aktiv und treten nun als Rechtsberater_innen für tausende Menschen, die sich keine Anwält_innen leisten können, auf den Plan. Wir bereiten Gesetzesentwürfe vor, vertreten Menschen vor Gericht, stellen Anträge, organisieren Demonstrationen und setzen uns immer noch auf Treppen und blockieren Räumungen. Unsere Aktivitäten werden vom Gros der Bevölkerung als wirkungsvoll und wichtig geschätzt. So bekommen wir genügend Spendengelder und Mitgliedsbeiträge, um Büroräumlichkeiten anzumieten.

Aktuelle Entwicklungen

Vor Kurzem erhielt unsere Bewegung einen neuen, sehr wichtigen Verbündeten: einen Ombudsmann, Adam Bodnar. Er ist die erste Person in dieser Funktion und wird sich für die Mieter_innen einsetzen. Die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unternahm bereits einen Versuch, ihn loszuwerden, worauf ich jedoch einen Brief an Jarosław Kaczyński verfasste, in dem ich ihn dazu aufforderte, die Armen in Polen zu unterstützen. Zu meiner Überraschung antwortete er auf meinen Brief und versicherte mir darin, dass trotz der politischen Gegensätze zwischen Adam Bodnar und der aktuellen Regierung nicht die Intention bestünde, den Ombudsmann abzuschaffen.
Trotz der vielen Erfolge der Bewegung und des Büros für Soziale Gerechtigkeit dürfen wir uns noch lange nicht zufrieden zurücklehnen: Das Infrastrukturministerium, in dessen Aufgabenbereich das Thema Wohnbau fällt, legte kürzlich einen neuen Gesetzesentwurf vor, der die Rechte von Mieter_innen nahezu auf null reduzieren soll. Eine solche Gesetzesänderung würde die Mieterschutzbewegung auch der grundlegendsten Instrumente zur Verteidigung der Menschen vor Zwangsräumungen und Wohnungslosigkeit berauben. Der Kampf geht also weiter…