Zugang zu Energie – ein soziales Grundrecht! Wie kann Energiearmut bekämpft werden?

Rund 11 Prozent der Bevölkerung in der EU leiden unter Energiearmut oder sind akut davon bedroht. Ein von der Delegation DIE LINKE. im Europaparlament, Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel und transform! europe veranstalteter Workshop widmete sich dem Thema.

Bericht von Manuela Kropp, Wiss. Mitarbeiterin im Büro von MdEP Cornelia Ernst (GUE/NGL), Europäisches Parlament

Energiearmut ist ein wachsendes Problem in der Europäischen Union. Ungefähr 11 Prozent der Bevölkerung leiden unter Energiearmut oder sind akut davon bedroht (in 2012 waren dies 54 Millionen Bürger_innen). 16% der Bevölkerung in der EU lebt in feuchten, schlecht isolierten Wohnungen, und 9% sind mit der Zahlung von Rechnungen an die Energieversorger im Rückstand[1].

Problematisch ist, dass weder auf europäischer Ebene noch in vielen Mitgliedstaaten eine Definition zu Energiearmut existiert – hinzu kommt, dass nur in einigen wenigen Mitgliedstaaten überhaupt Daten zu Energiearmut und Versorgungssperren gesammelt und veröffentlicht werden. Dennoch kann man den Begriff wie folgt eingrenzen: Energiearmut liegt vor, wenn eine Person nicht in der Lage ist, ihren Wohnraum zu erschwinglichen Kosten angemessen zu beheizen[2].

Im Rahmen des Workshops diskutierten die Teilnehmer_innen aus Deutschland, Ungarn, Bulgarien und Österreich, wie man dem wachsenden Problem der Energiearmut begegnen kann.

Die politischen Forderungen, die sich im Laufe der Diskussion herauskristallisierten, waren:

1. Wir brauchen entweder eine einheitliche, europäische Definition von Energiearmut oder eine Verpflichtung für alle Mitgliedstaaten, eine nationale Definition vorzulegen. Damit zusammenhängend brauchen wir einheitliche Indikatoren für Energiearmut, um die Entwicklung in den verschiedenen Mitgliedstaaten durch Datenerhebung beobachten und vergleichbar machen zu können.

2. Daten zu Versorgungssperren müssen gesammelt und veröffentlicht werden.

3. Der Zugang zu Energie muss als soziales Grundrecht definiert und durchgesetzt werden.

4. Regulierte Preise für Energie müssen erhalten bleiben und dürfen nicht im Zuge der Reform des Binnenmarktes für Elektrizität abgeschafft werden.

5. Strom- und Heizungssperren müssen verboten werden.

6. Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden müssen so gestaltet werden, dass Mieter_innen keine steigenden Kosten für die Miete befürchten müssen.

7. Energienetze und Energieversorgung müssen in kommunaler Hand sein.

Die Herausforderung besteht darin, das Thema „Energiearmut“ in den politischen Entscheidungsgremien auf die Tagesordnung zu setzen. Bspw. wird „Energiearmut“ in der Empfehlung der europäischen Kommission zur europäischen Säule sozialer Rechte erwähnt, aber klar als nationales Thema eingeordnet[3]. Ende 2017 soll eine europäische Beobachtungsstelle für Energiearmut (European Energy Poverty Observatory) eingerichtet werden, aber es ist unklar, wie die Zielsetzung dieser Beobachtungsstelle aussieht.

In folgenden Mitgliedstaaten sind besonders viele Menschen von Energiearmut betroffen: Ungarn (7,5%), Spanien (9,2%), Rumänien (10,9%), Italien (14,8%), Portugal (19,8%), Griechenland (27,0%), Bulgarien (37,6%).[4]

Die Gründe für die Zunahme von Energiearmut sind vielfältig: steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Realeinkommen, Kürzungen bei sozialen Unterstützungsleistungen. 119 Mio. Menschen leben in der EU in Armut, seit 2008 ist ihre Zahl um 4,8 Mio. angestiegen. Außerdem haben sich die Kosten für die Energieversorgung seit 2004, im Zuge der Liberalisierung der Energiemärkte, um 70% erhöht. Menschen, die von Energiearmut betroffen sind, leben oft in schlecht isolierten Gebauden. In 21 Mitgliedstaaten können Vermieter die Kosten für Gebäudesanierung durch eine Erhöhung der Miete an die Mieter_innen weitergeben, so dass hier keine finanzielle Entlastung stattfindet, sondern im Gegenteil finanziell schwächer aufgestellte Mieter_innen aus ihren Wohnungen verdrängt werden.

In Bulgarien bspw. existiert keine Definition für Energiearmut, obwohl Artikel 3 Abs. 7 der Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt[5] vorschreibt, dass die Mitgliedstaaten mit Blick auf Schutz vor Energiearmut „schutzbedürftige Kunden“ definieren sollen, und sichergestellt werden soll, dass es ein Verbot gibt, solche Kunden in schwierigen Zeiten von der Energieversorgung auszuschließen. 2013 kam es in Bulgarien aufgrund massiv gestiegener Energiepreise zu landesweiten Protesten, und heute haben über die Hälfte der bulgarischen Haushalte Probleme, ihren Wohnraum angemessen zu beheizen. In Bulgarien muss man 400 Arbeitsstunden aufwenden, um den bürokratischen Aufwand bei der Beantragung von erneuerbaren Anlagen zu bewältigen.

Ähnlich problematisch ist die Situation in Ungarn: dort ist es weit verbreitet, dass Haushalte über 20% ihres Einkommens für die Strom- und Gasversorgung ausgeben müssen. Daten zu Versorgungssperren werden von der Fidesz-Regierung nicht mehr veröffentlicht. Tausende Menschen sterben jeden Winter aufgrund unzureichender Wärmeversorgung, 70% der Luftverschmutzung im Winter wird durch das Heizen mit Abfällen verursacht. Es wurde der Vorschlag unterbreitet, eine Kampagne zur Förderung des Mieterstroms zu starten – „one million roof tops with PV panels“ (eine Million Dächer mit Solarpanelen).

Auch in Spanien sind besonders viele Menschen von Energiearmut betroffen – 11% der Bevölkerung. Jedes Jahr sterben 7.000 Menschen aufgrund von Energiearmut. Ca. 170.000 Versorgungssperren jährlich sind in den letzten Jahren vorgenommen worden.

In Deutschland hat sich der durchschnittliche Strompreis für Haushalte von 14 auf fast 30 Cent pro kWh zwischen 2000 und 2017 verdoppelt. Auch die Zahl der Stromsperren ist stark angestiegen: von 312.000 betroffenen Haushalten im Jahr 2011 auf 359.000 betroffene Haushalte im Jahr 2015. 6,3 Mio. Mal wurden Androhungen für Absperrungen ausgesprochen. In Deutschland gibt es keine einheitliche Definition von Energiearmut, allgemein wird als Definition verwendet: Ein Haushalt gilt als energiearm, wenn mehr als 10 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für die energetische Grundversorgung aufgewendet werden müssen. Forderungen speziell für Deutschland: Der Heizkostenzuschuss muss wieder eingeführt werden, ungerechtfertigte Industrierabatte müssen abgeschafft werden, die Stromsteuer muss gesenkt werden, und eine Strompreisaufsicht muss eingeführt werden, um die Willkür bei der Strompreisgestaltung zu verhindern.

In Österreich gibt es auch keine offiziellen Zahlen zu „Leistungsunterbrechungen“, aber nach Einzelberichten kann man folgende Daten zusammentragen: in Wien waren im November 2007 2.000 Haushalte ohne Gas- und Strombezug. In Linz waren im Dezember 2013 3.100 Menschen ohne Gas-, Strom- oder Fernwärmeversorgung. Dazu kommen natürlich noch Haushalte, die sich mit Ratenzahlungen herumschlagen müssen.

Regulierte Preise im Energiesektor müssen unbedingt erhalten bleiben und dürfen nicht im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt abgeschafft werden (auch wenn die europäische Kommission dies in ihrem Vorschlag gefordert hat). Die steigenden Energiepreise zeigen deutlich, dass die Liberalisierung des Strommarktes vor 20 Jahren ein Fehler war – hier liegt quasi Marktversagen vor. Das Recht auf Wasser ist mittlerweile in der öffentlichen Diskussion anerkannt, aber das Recht auf Energie noch nicht – es muss klar sein, dass auch Energie ein öffentliches Gut ist und der Zugang zu diesem Gut ein soziales Grundrecht darstellt.

Die Kommunistische Partei Österreich (KPÖ) hat ein Konzept zur kostenlosen Energiegrundsicherung (EGS) entwickelt. Die Grundidee ist, dass alle Haushalte ein fix definiertes Kontingent an Strom und Wärme kostenlos erhalten. Als Ausgangspunkt für diesen Grundbezug gilt der durchschnittliche Verbrauch eines Zweipersonen-Haushalts, den die Arbeiterkammer Wien bei einer Wohnfläche von 60 m2 mit 2.200 kWh Strom und 800 Kubikmeter Gas bemisst. Die Preisgestaltung des über das Gratiskontingent hinausgehenden Verbrauchs erfolgt progressiv, um damit übermäßigen Energieverbrauch zu reduzieren. Finanziert wird die Energiegrundsicherung aus den Gewinnen der Versorgungsunternehmen, sowie aus dem höheren Tarif für den Mehrverbrauch.

Ein Weg zur Bekämpfung von Energiearmut ist die Re-Kommunalisierung der Netze und der Energieversorgungsunternehmen. Der vom „Berliner Energietisch“ vorgelegte Gesetzentwurf[6] für die Errichtung eines Stadtwerkes und einer Netzbetreibergesellschaft hatte den Dreiklang einer demokratischen, ökologischen und sozialen Energieversorgung zum Ziel. Kommunale Unternehmen ermöglichen Mitbestimmung der Bürger_innen, eine ökologische Versorgung durch erneuerbare Energien und eine bezahlbare Energieversorgung für alle, die Gewinne verbleiben in der Kommune und können für soziale Maßnahmen vor Ort eingesetzt werden. Jedoch ist nicht sichergestellt, dass ein Energieversorger in kommunaler Hand auch eine Energieversorgung für alle bereitstellt. Deshalb müssen folgende Maßnahmen flankierend ergriffen werden: auf bundesdeutscher Ebene ein Verbot von Stromsperren einführen, das Recht auf Energie gesetzlich festschreiben, Einführung einer Schuldnerberatung für Menschen, die von Strom -und Gassperren bedroht sind, Beratungen zum Stromsparen, Beratungen zu Ratenzahlungen, und die Einführung von Sozialtarifen.

Das Beispiel aus Dänemark zu Energiegenossenschaften im Fernwärmebereich zeigt, dass hier entscheidenden Preissenkungen für die Bürger_innen erreicht werden konnten.

Energetische Gebäudesanierung ist kein technisches, sondern ein politisches Problem, und bietet die Chance, Energiearmut zu bekämpfen, denn 75% des Gebäudebestandes in der EU sind energetisch ineffizient, wobei der gesamte Gebäudebestand 36% der Treibhausgasemissionen in der EU verursacht. Die Finanzierung der energetischen Gebäudesanierung ist die Crux und das wichtigste Hindernis, wenn sie nicht erfolgt. Es liegt ein Anreizproblem vor: Der Hausbesitzer muss die Gebäudesanierung bezahlen, wobei der Mieter von den Kosteneinsparungen profitieren wird. Aber nur theoretisch, denn in vielen Mitgliedstaaten werden die Kosten über eine Mieterhöhung an die Mieter_innen weitergegeben – es droht „grüne Gentrifizierung“. Politische Optionen sind: „grüne“ Mietverträge, also die Vereinbarung zwischen Mieter_in und Besitzer_in, die Kosten der Sanierung zu teilen. Auf EU-Ebene brauchen wir eine ambitionierte Gesetzgebung zur Energieeffizienz im Rahmen der Überarbeitung der Energieeffizienzrichtlinie, die Vorschriften zur Bekämpfung von Energiearmut enthält.

Der Zugang zu Finanzierung muss für Haushalte, die von Energiearmut betroffen sind, erleichtert werden: 18 Mrd. EUR gehen bereits aus dem europäischen Budget in Energieeffizienzmaßnahmen, aber diese Summe reicht nicht aus und müsste deutlich gesteigert werden. Projekte, die durch die Europäische Investitionsbank (EIB) im Energieeffizienzbereich gefördert werden, befinden sich zu 80% in Frankreich, Finnland und Deutschland. Die Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa erhalten von der EIB in diesem Bereich überhaupt keine Finanzierung. Zwar sind die Gelder der EIB für Energieeffizienzmaßnahmen von 2 Mrd. EUR in 2013 auf 3,4 Mrd. EUR erhöht worden, aber das geographische Ungleichgewicht muss abgeschafft werden, schließlich sind vor allen Dingen auch Staaten in Mittel- und Osteuropa von Energiearmut betroffen.

Aus Dänemark wurde ein Stadterneuerungsprogramm der Red-Green-Alliance vorgestellt, das 2014 in Kooperation mit den nationalen Mietervertretungen erarbeitet worden war. Es basiert auf einer Vereinbarung zwischen Vermietern und Mietern, wobei der Vermieter einen Teil der erhöhten Miete nach einer energetischen Gebäudesanierung reduzieren muss (als Ausgleich für den schlechten Zustand des Gebäudes, für den er verantwortlich ist).

Anmerkungen 

[1] Greens/EFA, Tamas Meszerics, Handbook Energy Poverty, 2016, S. 22

[2] Definition nach European Anti-Poverty Network, auf englisch: Energy poverty is when a person is not able to heat or fuel their home to an acceptable standard at an affordable cost. (Presentation during workshop on 29 May 2017)

[3] https://ec.europa.eu/commission/publications/commission-recommendation-establishing-european-pillar-social-rights_de

[4] Leaflet European Public Service Union (EPSU), European Anti-Poverty Network (EAPN), Right to Energy for all Europeans! http://www.eapn.eu/wp-content/uploads/2017/05/EAPN-2017-EAPN-EPSU-energypoverty-leaflet-1138.pdf

[5] Richtlinie 2009/72/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt

[6] http://www.berliner-energietisch.net/images/eckpunktepapier ge.pdf

Downloads
  • Biografien der Teilnehmer_innen
  • Programm des Workshops
  • Speech Clemence Hutin and Genady Kondarev
  • Speech Attila Vajnai
  • Presentation Sian Jones
  • Presentation Maria Campuzano
  • Presentation Clemence Hutin and Genady Kondarev
  • Presentation Attila Vajnai
  • Presentation Karl Vogt Nielsen
  • Handout Caren Lay
  • Präsentation Christiane Maringer
  • Presentation Rie Krabsen